Österreich Zufluchtsort für Schwerverbrecher? (Die Presse vom 07.06.2011)

Die Presse vom 07.06.2011 Seite: 10

Zufluchtsort für Schwerverbrecher?

Fall Alijew. DNA-Beweise, wonach zwei in Kasachstan gefundene Leichen die mutmaßlichen Opfer des Ex-Botschafters sind, bringen Österreich gehörig unter Druck. von MANFRED SEEH

(WIEN) Rakhat Alijew, der frühere Botschafter Kasachstans in Österreich, zugleich auch der frühere Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajews, solle endlich ins Visier der österreichischen Behörden rücken. Entweder müsse man ihn nach Kasachstan ausliefern; oder aber Österreich müsse endlich selbst jene schweren Straftaten untersuchen, die dem einstigen Diplomaten angelastet werden. Dies ist im Kern die zentrale Forderung namhafter Juristen, die am Montag vor die Medien getreten sind.

Nachdem Österreich ein erstes Auslieferungsbegehren der Kasachen unter Hinweis auf die dortige Menschenrechtssituation abgeschmettert hatte (und nachdem Alijew in nur zwei Tagen von der Bezirkshauptmannschaft Horn, Niederösterreich, eine Niederlassungsbewilligung erhalten hatte), stellte das zentralasiatische Land 2008 ein zweites Auslieferungsersuchen. Und: Es verurteilte Alijew in Abwesenheit zu 40 Jahren Haft. Wegen der Entführung zweier Bankmanager. Was wurde nun aus dem zweiten Auslieferungsersuchen? Noch gar nichts. Es läuft seit bald vier Jahren. Ohne nennenswerte Entwicklung. Mittlerweile gehen einige Beobachter davon aus, dass Alijew – wenn überhaupt – nur noch teilweise in Österreich weilt. Die meiste Zeit dürfte er auf Malta verbringen.

Doch kürzlich platzte die Bombe: Jene beiden ehemaligen kasachischen Bankmanager, die unter mysteriösen Umständen verschwunden waren – also jene beiden, hinter deren Entführung Alijew stecken soll -, wurden gefunden. Korrekt: Ihre Leichen wurden gefunden. Grausam verstümmelt, in blauen Ölfässern aus Metall, eingelegt in Kalk. Offenbar waren beide gefoltert worden, ehe sie erdrosselt wurden. Außerdem waren ihnen Medikamente verabreicht worden. Dies habe sich nachweisen lassen, erklärte der Schweizer Rechtsmediziner Michael Tsokos am Montag vor Journalisten. DNA-Vergleiche mit Verwandten der Opfer hätten eindeutig ergeben, dass es sich um die beiden Vermissten handelt. Der Auffindungsort laut Opferanwalt Gabriel Lansky: “Ein Lagergelände nahe Almaty – ein Territorium, das in der Verfügungsgewalt Alijews stand.”

Der Rechtsvertreter Kasachstans in Österreich, Anwalt Richard Soyer: “Es gibt nun einen absoluten Zugzwang österreichischer Strafverfolgungsbehörden. Österreich soll kein Zufluchtsort für Schwerverbrecher sein.” Doch übertriebener Ehrgeiz, hierzulande aufzuklären, ob Alijew – und vier in Österreich lebende mutmaßliche Mittäter – für die Morde verantwortlich sind, ist den Behörden (Innenressort, Justizressort) nicht nachzusagen. Interne Vermerke, von denen Opferanwalt Lansky Kenntnis erlangt haben will, würden darauf hindeuten, dass es den Verantwortlichen am liebsten wäre, das Auslieferungsverfahren Alijew abzubrechen – eben wegen dessen Abwesenheit.

Alijew weist Vorwürfe zurück

Bezüglich der vier mutmaßlichen Mittäter ergebe sich aus diesen Vermerken, dass es Österreich nicht ungelegen käme, würden sie von sich aus das Land verlassen. Dann würde man auch nicht ermitteln müssen. Heinz Mayer, Dekan der Jus-Fakultät der Uni Wien: “Nichtstun ist unzulässig.” Die Ministerien weisen die Vorwürfe zurück: Die Kritik sei “der Versuch einer Rechtsanwaltskanzlei, laufende Verfahren medial zu inszenieren.”

Auch Alijew meldete sich via einer Anwaltskanzlei zu Wort: “Ich habe keinen Zweifel daran, dass der kasachische Geheimdienst einen derartigen Leichenfund nur bekannt gibt, wenn im Vorfeld sämtliche Beweise derart manipuliert wurden, dass die Schuld am angeblichen Tod der Bankmanager nur mir in die Schuhe geschoben werden kann.” Er habe Österreich vor zwei Jahren verlassen.

 

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