Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
Anfang Dezember stehen Ihnen die Verhandlungen mit dem Präsidenten von Kasachstan, Herrn Qassym-Schomart Toqajew, bevor. Das Auslandsbüro der kasachischen Opposition im Namen der demokratischen Bewegungen und unabhängiger Nichtregierungsorganisationen unseres Landes bittet Sie, auf die schwierige Situation der Menschenrechte und das Fehlen politischer Freiheiten in unserem Land soweit möglich einzugehen.
Sie und Mitglieder Ihrer Regierung haben sich mehrfach mit Nursultan Nazarbayev getroffen. Jetzt ist er angeblich zurückgetreten, nachdem er sich den Titel des “Anführers der Nation” selbst verliehen hatte und gleichzeitig sich vollumfänglich mit Macht versorgte.
Qassym-Schomart Toqajew wurde der Nachfolger nach dem Willen von Nazarbayev. Nach seiner Ernennung hielt er vorzeitige Wahlen ab, die von internationalen Organisationen als nicht fair und nicht frei bezeichnet wurden. Die Wahlergebnisse wurden, wie schon oft, verfälscht.
Die Protestwelle, die danach in Kasachstan ausbrach, wurde von der Polizei und den Geheimdiensten zum Teil unter Gewalteinsatz unterdrückt. Tausende Demonstranten wurden festgenommen, geschlagen und zu Haftstrafen verurteilt.
Sehr geehrte Frau Merkel!
Die Bürger von Kasachstan wissen, dass die deutsche Regierung in Verhandlungen mit kasachischen Vertretern jedes Mal Fragen der Verletzung der Menschenrechte und der politischen Freiheiten im Land aufgeworfen hat. Nasarbajew hat Ihnen und anderen Weltführern versichert, dass er in seinem Land einen schrittweisen „Transit“ vom sowjetischen Totalitarismus zur Demokratie und zum freien Markt durchführt. Es war eine langjährige bewusste Lüge: Er führte Kasachstan zu einer persönlichen Diktatur, die von Korruption durchzogen ist. Die Mitglieder seiner Familie kontrollieren zusammen mit engsten Verbündeten mittlerweile die beinahe gesamte Wirtschaft.
Wir fordern Sie eindringlich auf, Präsident Toqajew nicht einmal die Hoffnung zu geben, dass er den Westen weiterhin täuschen und die europäische Wirtschaft mit Versprechungen des Zugangs zu den natürlichen Ressourcen Kasachstans anlocken kann.
Der Ressourcenpakt mit Deutschland und alle anderen Abkommen über den freien Zugang zu europäischem Kapital werden erst dann umgesetzt, wenn die Kontrolle über Staat und Wirtschaft in den Händen des Clans von Ex-Präsident Nasarbajew liegt und das politische System von seiner Tochter Dariga Nasarbajewa kontrolliert wird, die zum Vorsitzenden des Senats und offiziell ernannt wurde und Toqajews Nachfolgerin, wenn er als Präsident zurücktritt, werden sollte.
Diese Menschen lieben den europäischen Lebensstil. Allmählich geben sie den Reichtum des Landes an chinesische Staatsunternehmen ab, weil sie in chinesischen Bajonetten eine Garantie für ihre künftige Sicherheit sehen und die Quelle des Wohlstands in den offiziellen Bestechungsgeldern chinesischer Partner liegt.
Gleichzeitig sehen die jungen, gebildeten und demokratisch orientierten Menschen in Kasachstan die Zukunft in der wirtschaftlichen Integration mit der Europäischen Union und in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea. Das heißt, mit Ländern mit einer freien Marktwirtschaft und einem demokratischen staatlichen System.
Dafür beteiligen sich Bürger Kasachstans jede Woche an Protesten, die von der Polizei brutal unterdrückt werden. Sie fordern vom neuen Präsidenten einfache Dinge:
— Oppositionsparteien zuzulassen, damit sie an den Wahlen teilnehmen können;
— Freilassung politischer Gefangener, die wegen ihrer politischen Überzeugung und der Menschenrechtsaktivitäten verurteilt wurden;
— die offensichtliche Korruption der Familie Nasarbajew und derer Mitarbeiter zu untersuchen, um mehr als 150 Milliarden Euro nach Kasachstan zurück zu bringen, die in Offshore-Unternehmen, die in ausländische Immobilien und Beteiligungen an Weltunternehmen investiert worden sind.
Wir bitten Sie, unsere Aufforderungen zu unterstützen. Bitte nennen Sie in einem Gespräch mit Präsident Toqajew die Namen politischer Gefangenen Aron Atabek, Max Bokayev, Zhanbolat Mamay, Larisa Kharkova und Iskander Yerimbetov. Diese Menschen wurden für ihre politischen Überzeugungen, für politische Aktivitäten und für freie journalistische Äußerungen verurteilt. Während sie in Gewahrsam sind oder unter Polizeikontrolle stehen, kann sich niemand sicher fühlen, wenn er zu einer friedlichen Kundgebung geht oder mit den Medien über seine Meinung spricht.
Im Namen der demokratischen Opposition Kasachstans und unabhängiger NGOs bitte ich Sie, Zentralasien nicht ohne eine so wichtige objektive Informationsquelle wie die zentralasiatische Ausgabe der Deutschen Welle zu belassen. Wir bitten auch deutsche Diplomaten und Forscher, sich an Vertreter sozialer Bewegungen und oppositioneller Intellektueller zu wenden, um Informationen über die tatsächliche Wirtschaftslage, über gesellschaftliche Stimmungen und gewaltsame Konflikte in der Machtelite zu erhalten. Neue Gesichter der kasachischen Opposition schließen sich zu unabhängigen NGOs zusammen. Sie werden die Agenten einer engen Zusammenarbeit und Integration mit Europa sein, nachdem das autoritäre Nazarbayev-Regime vollständig abgeschafft wurde.
Wenn Präsident Toqajew aus einer Marionette in den Händen von Nazarbayev und seiner Familie zu einem unabhängigen und verantwortungsbewussten Staatsoberhaupt werden will, muss er die Kontrolle des ehemaligen Präsidenten und seine Tochter durch anerkannte rechtsstaatliche Mittel abschaffen. Viele Verbündete Nazarbayevs haben Blut an den Händen. So zum Beispiel Rakhat Aliyev, der ex-Ehemann von Dariga Nazarbayeva, und deren ältester Sohn haben deren Geschäftspartner in der NurBank persönlich gefoltert und getötet. Danach ging das Geschäft der ermordeten Widersacher in das direkte Eigentum von Dariga Nazarbayeva über.
Die Bürger von Kasachstan verstehen, dass niemand für sie ein demokratisches politisches System, eine freie Wirtschaft und eine pluralistische Gesellschaft im Land schaffen wird. Mit der Unterstützung Deutschlands und seiner Staats- und Regierungschefs kann dies jedoch schneller und harmonischer geschehen. Die Erfahrung eines kontrollierten Übergangs zu demokratischen Standards in Ostdeutschland inspiriert uns und dient als hervorragendes Beispiel.
Mit bestem Dank
Mit freundlichen Grüßen
Serik Medetbekov, Leiter des Auswärtigen Amtes der kasachischen Opposition